Sozialpolitik für alle – was sind Aufgaben und Ziele?

Bulletin 2/23, Juni 2023

Monika Bütler, selbständige Ökonomin und ehemalige Professorin der Uni St. Gallen, gab an der diesjährigen GV vom 29. April spannende Einblicke in die Sozialpolitik.

Einleitend zeigte sie auf, wie die versicherungsmathematisch korrekte BVG-Rente für die verschiedenen Zivilstände aussehen würde. Für alleinstehende Männer ergäbe sich eine um 25 % höhere Rente als für verheiratete. Ursachen sind potenzielle Witwenrenten und die etwas höhere Lebenserwartung verheirateter Männer. Bei den Frauen ist der zivilstandsbedingte Unterschied gering.

Interessant ist das niederländische System, welches die Renten für Ehe- und ebenso für Konkubinatspaare bei 136 % der Einzelrente plafoniert.
Von 1999 bis 2017 zeigt sich in der AHV eine massive Verschiebung von den ausbezahlten Waisenrenten hin zu den Kinderrenten für pensionierte Väter.

Hauptaufgaben der Sozialpolitik
Gemäss Frau Bütler zählen zu den Hauptaufgaben der Sozialpolitik:

  • Versicherung gegen Lebensrisiken
  • Schutz der Gesellschaft vor individuellem Eigennutz
  • Schutz des Einzelnen vor Planungsfehlern.

Lebensrisiken sind aus mehreren Gründen Gegenstand der Sozialpolitik:

  • Grundkonsens der Unterstützung in Notlagen
  • Risikounterschiede und individueller Wissensvorsprung machen die Versicherung für private Anbieter uninteressant
  • Ausgleich und Umverteilung innerhalb und zwischen den Generationen.

Der Schutz der Gesellschaft soll verhindern, dass bezogenes Kapital verprasst und später Ergänzungsleistungen (EL) bezogen werden. Da die Grundsicherung aus AHV und EL ca. 40 % über der maximalen AHV-Rente liegt, empfiehlt die Ökonomin bei tiefem Alterskapital den Kapitalbezug.
Bei höherem Alterskapital muss abgewogen werden zwischen Rente und Kapital. Die Mehrheit verhalte sich vernünftig, sagt die Referentin. Alleinstehende Frauen beziehen öfter die Rente als verheiratete. Bei den Männern bestehe kein zivilstandsabhängiger Unterschied bei der Wahl zwischen Kapital und Rente.

Ergänzend erwähnte Frau Bütler, die Möglichkeit des Kapitalbezugs verfälsche die in der OECD-Statistik ausgewiesene Altersarmut massiv. Die OECD betrachte nur das Renteneinkommen, nicht aber das Vermögen.
Das Finanzwissen ist oft klein, was den Schutz vor individuellen Fehlentscheidungen bei der Planung im Finanzbereich begründet. Bei einer Erhebung beantworteten in der Schweiz 62 % der Männer und lediglich 39 % der Frauen alle drei elementaren Fragen richtig. Bei nie verheirateten Personen gibt es keinen Geschlechtsunterschied, da sich alle selbst mit finanziellen Fragen befassen müssen.

Zielkonflikt in der Sozialpolitik
Gemäss Referentin besteht der klassische Zielkonflikt zwischen Leistungen und Finanzierung, verbunden mit einem mehr oder weniger grossen sozialen Ausgleich. ­Effizienz und Anreize sind weitere Elemente des Systems. Der klassische Zielkonflikt vernachlässigt persönliche Aspekte. So kann die Bemessungsgrundlage für Steuern und Subventionen (Ergänzungsleistungen, Sozial­hilfe, Prämienverbilligungen) durch Wahl des Arbeitspensums beeinflusst werden. Das (steuerbare) Einkommen ist daher nicht der optimale Massstab für die wirtschaftliche Leistungs­fähigkeit. Auch der Bedarf für Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen ist beeinflussbar. Verschiedene sozialpolitisch relevante Güter sind durch begrenzte Verfügbarkeit faktisch rationiert (subventionierter Wohnraum, subventionierte Kitas, Mobilität). Benachteiligte wissen oft nicht, wo sie welche Leistungen erhalten können. Schliesslich sind Akademikerinnen und Akademiker in der Politik übervertreten und privilegieren ihre Eigeninteressen. Beispiele für nicht erreichte Ziele sind:

  • Akademikerkinder sind viel häufiger in Kinderkrippen als Arbeiterkinder
  • Ausländer und einkommensschwache Haushalte sind in subventionierten und genossenschaftlichen Wohnungen untervertreten
  • Akademikerkinder studieren öfter als Arbeiterkinder
  • Mobilität und sonstiger Service Public werden häufiger von Gutverdienenden beansprucht.

Die Akzeptanz der Sozialpolitik hängt von der Zielgenauigkeit ab. Es gibt jedoch keine universelle Methode zu deren Verbesserung. Möglich sind:

  • Anreize und Beseitigung von Fehlanreizen
  • Überprüfung der Bemessungsgrundlagen unter Berücksichtigung des Wandels von Lebensformen und ­Arbeitsmarkt, der Manipulierbarkeit, der Schwellen­effekte und der Teilzeitarbeit (weniger Lohn kann beispielsweise vorteilhafter sein)
  • Zugang für Benachteiligte sichern
  • Einfache Ausgestaltung der Leistungen und Kriterien.

Das Referat löste eine lebendige Diskussion aus. Der Referentin Monika Bütler danken wir an dieser Stelle nochmals sehr herzlich für das spannende Referat.

 

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